Ein Buch für alle 18 Orte

Ein Buch für alle 18 Orte

Mystische Stimmung am Urftsee mit Morgennebel.


Bürgerstiftung Schleiden präsentiert die Entwicklung der Gesamt-Stadt seit 1972 auf 680 Buchseiten mit über 1.100 Fotos zum Schmökern und Nachschlagen


Die letzte Fahrt der Flitsch.

Ein halbes Jahrhundert alt wird 2022 die in der heutigen Form erst 1972 entstandene ‚Stadt Schleiden‘. Damals wurden unter dem Druck des Landes 18 Orte verwaltungsmäßig zu einer neuen Großkommune vereinigt. Das war weiß Gott keine Liebesheirat. Wie hat sich die Stadt seither entwickelt? Was passierte in den 50 Jahren seit der ‚schweren Geburt‘ der neuen Großkommune, was klappte gut, was ging schief? Eine geballte Ladung an Antworten präsentiert die Bürgerstiftung Schleiden im von ihr herausgegebenen und von dem Journalisten Franz Albert Heinen verfasste Buch ‚18 Orte unter einem Dach‘.

Im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht das letzte halbe Jahrhundert seit der Gebietsreform 1972. Viele Einwohner haben diese 50 Jahre bewusst miterlebt. Das Buch rückt oft schon vergessene Ereignisse und Entwicklungen nochmals ins Rampenlicht.

Urftsee trocken

Wer weiß z. B. heute noch, dass eine Autobahn A 111 von Aachen quer durch das Schleidener Land zur A 1 (damals: A 110) geplant war mit Konsequenzen auch für die Dörfer? Die Flurbereinigung Ettelscheid kam viele Jahre nicht voran, weil der exakte Trassenverlauf der A 111 unklar blieb, bevor das Projekt schließlich in der Versenkung verschwand. Längst vergessen sind auch die ernsthaft verfolgten Pläne, im Rahmen der Kurentwicklung Gemünds 22 Stockwerke hohe Appartement-Hochhäuser ins Kurgebiet zu setzen. Der Rückgang der Kurförderung verhinderte letztlich diese ‚Twin-Towers‘ im Urfttal. Dafür wuchsen auf der Dreiborner Höhe ganz andere Türme in den Himmel: Zahlreiche Windkraftwerke rühren im Eifelwind, und für die Einen ist das die Verspargelung der Landschaft, für die Anderen sichtbares Zeichen für den Willen der Stadt, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen.

Weihnachtlicher Dorfplatz in Olef.

Wer erinnert sich noch an die endlosen Staus im Oleftal vor dem Ausbau der Gemünder Kreuzung mit ‚Domplatte‘ und Rechtsabbiegerspur, an die Abschiedsfeier von der ‚Flitsch‘ in Olef 1981, an die Jahre der Kanalisierung, als Millionen DM in der Erde verbuddelt wurden und die Stadt sich an die Spitze der landesweiten Abwassergebühren katapultierte? In den ersten Jahrzehnten der Stadt mangelte es nicht an Dramatik: Hier sei nur an die Großbrände der Glashütte und bei Papstar erinnert, oder an den 16.05.1979, als der Ort Schleiden haarscharf an einer Katastrophe vorbeischrammte. Damals stürzte ein Militär-Jet ins Holgenbachtal, nur wenige hundert Meter von Realschule und Gymnasium entfernt.

Die Anrainer des Camp Vogelsang litten auch nach dem Bau der Panzerstraße im Jahr 1974 weiter unter dem Militärbetrieb des Truppenübungsplatzes. Krach gab es allemal, bisweilen pfiffen sogar ‚blaue Bohnen‘ durch Dreiborn. Insbesondere die Stadt Gemünd war durch Schützenpanzer im Kurgebiet und vom Schießlärm am abgeriegelten Urftsee in ihrer touristischen Entwicklung massiv beeinträchtigt. Das Ende des Truppenübungsplatzes wurde zur Zeitenwende für die Stadt Schleiden. Viele Weichen konnten neu gestellt werden: Der Weg war frei zur Gründung des Nationalparks Eifel 2004 und für die Konversion der Immobilien Vogelsangs, aber auch für eine touristische Neuorientierung in den Orten ringsum.

Die Rentner von Gemünd.

Die letzten Jahre waren nicht die besten für die Stadt. Die Teilzerstörung des Gymnasiums durch zwei Großbrände 2018 bildete den Auftakt zu einer düsteren Serie. Nachdem das Buchmanuskript bereits fortgeschritten war, trat Anfang 2020 aus dem chinesischen Wuhan eine volkstümlich als ‚Covid‘ bezeichnete Lungenkrankheit ihren Lauf als Pandemie rund um den Globus an. Sie bestimmte bis 2022 unseren Alltag und forderte auch im Stadtgebiet viele Todesopfer. Kaum war dieses Kapitel im Manuskript nachgetragen, da verwüstete in der Nacht vom 14. zum 15. Juli 2021 eine Flutkatastrophe von ungeahntem Ausmaß alle Orte in den Tallagen. Neun Menschen starben an Urft und Olef, viele wurden verletzt oder traumatisiert. Es entstand unermesslicher Schaden an Privateigentum, Betriebsanlagen und an der kommunalen Infrastruktur.

Das war eine Katastrophe von so unerhörter, vernichtender Dimension, dass ein weiteres, rund hundert Seiten starkes Buchkapitel mit vielen Bildern nachgetragen werden musste. So enthält das Buch auch bedrückende Aufnahmen von zerstörten Orten. Viele ältere Fotos im Buch zeigen Ansichten von Gebäuden, die es so nach der Sturzflut nicht mehr gab.

Windrad im Gegenlicht.

Das Werk gliedert sich in zwei Teile: Zunächst werden Themen präsentiert, die alle Orte gleichermaßen betreffen, beispielsweise die Entwicklung der verschiedenen Verkehrsarten über die Jahrzehnte: vom Ausbau der öffentlichen Infrastruktur von der Gasversorgung bis zu den Abwasseranlagen, der Schulen und Kitas bis zu den großen Folgethemen der Konversion Vogelsangs: die Entwicklung des Nationalparks, die Urfttalsperre mit spektakulären Bildern, den Wandel Wollseifens von der verlorenen Heimat zum Ort stiller Erinnerung. In einem zweiten Teil folgen kurze Kapitel zu allen 18 Orten.