Berescheid

Mensch senn en „Beresch“

Von Manfred Lang
mit Vorarbeit durch das Stadtarchiv Schleiden

Berescheider Mühle

 

„Beschauliches Höhendorf am Rande der Dreiborner Hochfläche“, urteilt Edgar Hoss vom Verschönerungsverein Berescheid in einer Abhandlung für die Bürgerstiftung, die diesen Zeilen zugrunde liegt. „Joot jebrollt, Löw“, gut gebrüllt, Löwe, meine ich, äve datt kann me net op Eefele Platt övesetze: „Höhendorf“ und „Hochfläche“ hann me op Platt net em Anjebot.

In Ermangelung eines eigenen Mundartworts für „Hochebene“ bedienen sich sprachlich international gebildete junge Eifeler heute eines schottisch-angelsächsischen Lehnwortes für die Bezeichnung der das Schleidener Tal säumenden Hochplateaus, zu dem auch Berescheid gehört: „Highlands“.

Womit nichts über die Sparsamkeit, aber eine Menge über die Trinkfreudigkeit der Eifelschotten dieses Landstrichs ausgesagt sein soll, die zu allem Überfluss ein eigenes Dudelsackensemble „Drums and Pipes“ besitzen…

Schleidener „Highlander“ sollen laut des unlängst verstorbenen Schleidener Urvaters Werner Rosen im Vergleich zu den verzärtelten Talbewohnern derart robust sein, dass man aus einem „Bereschedde“ oder „Drommede“ je zwei Schleidener herstellen könnte – und bei dieser Teilung bliebe laut Rosen auch noch ein Gemünder übrig . . .

Berescheids wegen seiner sprachlichen Eigenwilligkeit berühmtes Nachbardorf ist mit Eigennamen reichhaltiger dran als „Beresch“: Dreiborn wird auch „Drömme“, „Dromme“, „Drommer“ oder „Drommert“ genannt - je nach Eifelecke, wo man herkommt.

Merke: Eiefeler Mundart variiert von Dorf zu Dorf, „von Dörp ze Dörp“, ist („öss“) aber („äver“) immer („ömme“) dieselbe („nämlije“) Sprache („Sprooch“). Und die heißt sprachwissenschaftlich „Limburgisch-Ripuarisch“. Der Slang kommt von den Franken, deshalb kann man auch „Rheinfränkisch“ sagen.

Und zwar im Gegensatz zum verwandten „Moselfränkisch“, das in der Südeifel gesprochen wird. Selbst „Kölsch“ ist keine eigene Sprache, nur ein Getränk, aber nicht einmal „Bier“. Denn „Bier“ ist in der Eifel nicht ober-,  sondern untergärig.

Vorzugsweise wird in den SLE-„Highlands“ auf 0,33-Liter-Angebinde aus Bitburg („Stubbis“) oder „Krööch“ (Schnappverschlusskrüge) aus Gemünd („Jemöngk“) zurückgegriffen, gerne in den letzten Jahren auch auf „Eifeler Landbier“ und „Steinfelder Klosterbier“, die ebenfalls beide im zur Stadt Schleiden gehörenden Gemünder Brauhaus fabriziert werden.

„Beresch“ beet 192 Löck e Deheem: Berescheid bietet 192 Menschen ein zu Hause. Beresch „bietet“ nicht nur, Berescheid IST Heimat für zurzeit 192 Frauen, Kinder, Greise, Babys, Männer, Knaben, Töchter, Fraulöck unn Mannsmensche. In der Eifel gibt es zwei Sorten „Mensch“, die sich  grammatikalisch unterscheiden: „der Mensch“ (Mann) und „das Mensch“ (Frau).

  • Wortkarg von Beginn an

    Adam, der erste Homo Sapiens, war einem unbestätigtem Ondit nach Eifeler, vermutlich bei Berescheid von Gott geschaffen, und folglich bis zur Nacherschaffung seines Weibes Eva aus einer Rippe äußerst wortkarg, was sich gehalten hat.

    Der durchschnittliche Wörterverbrauch pro Tag lag damals bei etwa drei Vokabeln, wobei manche Sätze zu einem Wort komprimiert wurden: „Da jö“ ist zum Beispiel eine Hochdeutsch kaum übersetzbare allgemeine Aufforderung zur Aufnahme von Tätigkeiten jeder Art.

    „Ne Mann, e Wo-ert“, wobei „e“ auch wörtlich „eent“ meent. Ein Mann, ein Wort, aber eine Frau, ein Wörterbuch, Lexikon, Enzyklopädie… Da lesen wir: „Berescheid liegt vierunehallef (4,5) Kilometer westlich der Schleidener Kernstadt zwischen Scheckenbach- und Schafbachtal. Südöstlich befindet sich der Kirchberg und westlich der „Eigart“. Als „Berenscheidt“ wurde das Dorf erstmals im Jahre 1351 erwähnt. Zu dieser Zeit gehörte es zur Jülicher Unterherrschaft Dreiborn.

    Mitte des 17. Jahrhunderts führte der Bevölkerungsanstieg zur Errichtung der Berescheider Mühle („Möll“). Johann von Harff, Reichsritter auf der Burg Dreiborn und Erbmarschall von Jülich, kaufte das Land für den Mühlenbau und finanzierte die Materialkosten. Datt hätt Alfred Wolter uss Drömme erussjefonge… Eine Hand wäscht die andere, einer mahle des anderen Korn. Müller wurden aufgrund der Selbstentnahme („maltern“) von Mehl als Mahlhonorar häufig misstrauisch beäugt…

    Für den Betrieb der „Bereschede Möll“ mussten sieben Stauweiher (Weyere) und ein gut abgestimmtes Mühlengrabensystem („Möllejrääve“) eingerichtet werden. Die Mühle blieb bis in die 1930er Jahre in Betrieb und wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges abgerissen („affjerösse“).

  • Was sagt der „Hinkende Bote“?

    Der „Hinkende Bote“, eine Art ländlicher Buurekalender, der praktischerweise nur einmal im Jahr Neuigkeiten verbreitete (waren datt Zidde…), berichtet 1935, dass in Berescheid 197 Seelen wohnten – da hat sich bis heute nicht viel getan. Die eene senn jejange (+), die andere wuure jeboore (*). C’est la vie – so ist das Leben.

    Unn et hätt och net „ömme joot jejange“, wie die Kölner mit nicht zu überbietender Dreistigkeit behaupten. „Et hätt noch lang net ömme jejange“, sagt man vielmehr in Berescheid und Umgebung. Das ist realistisch – und wohnt dem Leben als Phänomen inne: Es hat noch lange nicht immer gutgegangen.

    Dennoch besteht Grund zum Optimismus: Et hääv nämlich och schlömme komme könne: Stellt Euch vor, das Kind habe sich statt des linken den rechten Arm gebrochen… 1935 hatte Beresch eine Schule, in die dieses Kind mit seinem angebrochenen linken Arm gehen konnte. „Schöll“ sagen die Schleidener nur im Tal, „Schu-el“ die auf den Bergen.

    Elvira und Manfred Hilgers, zwei liebgewordene Zeitungskollegen aus „Drommert“, die stets wahrheitswidrig behaupten, dass die Menschen in „Beresch“ oder „Ettscheld“ keinen Deut anders fabulieren als die in „Mauel“, „Wollefjaade“ oder meinem Heimatdorf Bleibuir, haben mich mit ihrem Kinderbegriff zur Verzweiflung gebracht.

    Da kam Ehefrau Elvira nämlich mittags in die Redaktion der „Rundschau“ in die Dreiborner Straße in „Jemöngk“ und berichtete ihrem Gatten Manni, was es zu Hause vormittags alles gegeben hatte.

    Nachdem „ött“ (sie, also „es“, nämlich Elvira n.) de Köh jemolleke unn op de Weed jedohn („tun“ tut der Eifeler sprachlich alles, „doohn“ ist DAS Generalverb) hatte, „hann ich d’Kongk en‘d Schu-el jefahre“, berichtete Elvira. „D’Kongk“ dachte ich, sei „ein Kind“. So ist das in Schleiden, Olef und Gemünd. Dort bekommen die Leute erst ein Kind, dann ein zweites, schließlich ein drittes und am Ende hatten sie vielleicht „vier Köngde“.

    „D’Kongk“ hingegen bezeichnet in den „Highlands“ sowohl die Ein-, als auch die Mehrzahl. Eee Kongk, zwei Kongk, dreij Kongk, 20 Kongk usw.

    Die Berescheider Volksschule wurde übrigens nach der Schulreform 1968 wie die meisten anderen Dorfschulen im Kreis Schleiden aufgelöst. Diesem Artikel ist ein Foto vom Lehrer-Ehepaar Wilhelm und Agnes Sieger vom 13. Juli 1921 beigestellt, als die beiden frisch ins damalige Schulhaus in Berescheid einzogen. Datt de Lehre (Majister) unn seng Madam unn seng Famelisch in eine Lehrerwohnung einzogen, die sich meist über den Klassenräumen befand, war damals gang und gäbe.

    Das Schulfoto von 1935 zeigt die einklassige Volksschule Berescheid mit Lehrer Wilhelm Bomm und (untere Reihe von links) Martha Esch, Wilhelmine Esch, Anna Jöbges, Maria Hoss, Josefine Esch, Christine Weimbs, Josefine Esser, Maria Esser, Anna Bruckmann, Alfred Jansen, Maria Heinen, Christine Pleus, Gertrud Heinen, Berta Jost, Josefine Weimbs, Helene Esser, Maria Jöbges, Margarethe Lentzen, Rosa Esser, Rosa Heinen, Martha Heinen, Josef Berners, Hedwig Lentzen, Maria Heinen, Ludwig Heinen, Josef Heinen, Anna Steffen, Reinhold Lentzen, Willi Hoss, Alois Heinen und Rudolf Hoss.

    In der mittleren Reihe von links sind Karl Pleus, Karl Berners, Josef Esch, Ludwig Esch, Leo Jost, Bernhard Esch, Franz Lentzen, Josef Lentzen, Ewald Heinen, Vinzenz Heinen und Lehrer Bomm abgebildet. Und schließlich in der oberen Reihe von links Helene Berners, Josefine Heinen, Elisabeth Pleus, Therese Esch, Gertrud Weimbs, Elisabeth Heinen, Maria Lentzen, Katharina Esch und Gertrud Esch.

    Übrigens sagte man im Dorf damals keineswegs „Martha Esch“ zur Überlieferin der Aufnahme, sondern „Eische Martha“. In der nördlichen Eifel wird fast immer zuerst der Nach- oder Hausname genannt, dann erst der Vorname. Oft fragte man kleine Kinder erst gar nicht nach ihren Namen, sondern nach ihrer Familie, also nicht „Wer böss Du dann?“, sondern „Wämm böss Dur dann?“

  • Müller, Schohmeicher und Kolonialwaren

    Wem gehörst Du? Ich war zum Beispiel „Halffe Tünn de Senge“, also der Sohn von Anton Lang. Die Familie hieß allerdings nicht „Lang“, sondern „Halffe“, was mit einem alten rheinischen Pachtverhältnis zu tun hat. Auch in Berescheid gab es Dutzende solcher Hausnamen. Beruflich gingen sie zu der Zeit, als die Bilder entstanden, folgenden Berufen nach: Dachdecker (Daachdecke), Schuster (Schohmeiche), Schneider (Schnegger), Zimmermann (Zömmemann) und Schlächter (Metzje). Es gab jede Menge „Buure“ - und den erwähnten Lohnmüller - und ein Kolonialwarengeschäft.

    Bis zur Kommunalen Neugliederung 1972 wurde „Beresch“ von der amtsfreien Gemeinde Dreiborn verwaltet – und zwar von einem Rathaus aus, das sich in einem Gemünder Wohnhaus befand. „Op de Vewaltung“ konnte man ruhig „em Blaulenge“ gehen, also in Arbeitsklamotten. Bei standesamtlichen Trauungen aus dem Amtsbezirk fehlten oft die Trauzeugen. Die mooten nämlich wirke jonn (auf ihre Arbeitsstelle).

    Dann sprangen die lieben Verwaltungsbeamten ein, belohnt mit je einer Flasche Schabau, der dann im Hause brüderlich verteilt wurde. Nach der zweiten Trauung an einem Tag sang anschließend der Standesbeamte (Mitglied des Männergesangsvereins) in der Badewanne des Gemünder Wohn-Rathauses Arien.

    1976 wurde das Berscheider „Feuewehrhüsje“ (Gerätehaus) zum Jugendheim umfunktioniert. Bis dahin hatten sich die Teenager des Dorfes (Lööfere, Fraulöck, jong Männ) im ehemaligen Schulgebäude getroffen. Aus dem neuen Jugendtreff wurde bald das Dorfgemeinschaftshaus.

    Im Jahr 1980 feierte die Pfarrei Dreiborn-Berescheid ihr 175-jähriges Bestehen. Die Pfarrgemeinde St. Georg beging diesen Festakt im Saal Hilgers in Dreiborn, wo von Berescheider Bürgern szenische Darstellungen auf die Bühne gebracht wurden. Die Bühnenbilder gaben Geschichten aus den verschiedenen Zeitepochen wieder.

    So wurde unter anderem die Feldprozession von Dreiborn zur Mutterkirche in Olef um das Jahr 1700 nachgespielt, welche den Bewohnern die Erlösung von Hunger und Pest bringen sollte. Der jüngst verstorbene Alt-Schleidener Stadtzerberus und Hellenthaler Amtsdirektor Werner Rosen hat einen Text hinterlassen, der von dieser Prozession berichtet.

    Er beginnt mit Anweisungen und der Begrüßung der teilnehmenden Vereine: „Dreiunndressig Vereine sen jelaade, dressig senn op Dromme jetrocke – und dass die anderen Vereine nicht erschienen sind, dodrahn soll oss ennen Dress jeläje senn.“

    „Mir stellen oss op, wie vörisch Johr – mömm Jesieht no de Sood“, also Aufstellung mit Blickrichtung Straßenrinne. Als Mahnung zur Harmonie im Musikverein: „Die jruuß Trööte net esu laut trööte, domött me die kleen Trööte och noch trööte hüert“.

    Die Bet-Ordnung: „Mir bedde »Jejrüßet seist Du Maria“, die lenke Sitt fängk ahn – unn dr Deufel soll Üch holle op de rähte Sitt, wenn die Flitscherei mömm Ruesekranz no dä Ehrenjungfrauen net drahnjejeffe witt . . .“ Und schließlich das Schlussgebet zum heiligen Rochus mit dem Zusatz: „Hau dä Deuvel ömm et Liev, datt net Stump noch Stetz drahn bliev!“

    Mitte der 2000er Jahre konnte das Naturschutzgebiet Schafbachtal renaturiert werden. Gut zehn Jahre später führte eine weitere Renaturierungsaktion der Stadt Schleiden in Kooperation mit dem Kreis zur Wiederherstellung des Berescheider Baches und des Scheckenbachs.

    Anfang der 1990er Jahre holte Berescheid eine Silbermedaille auf Landesebene und einen Sonderpreis des Landwirtschaftsverbandes beim Landeswettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Ein kulturelles Highlight stellt das Schlauchbootrennen dar, das seit 2006 von den Junggesellen ausgerichtet wird. 2020 ist es wieder soweit. Gut kostümiert werden zahlreiche Schlauchbootteams im legendären Wettrennen um den Pokal erwartet. Vell Freud, juut Schlauch, und ömme en Hangk breet Wasse ongerm Kiel…

  • DROMMER on BERESCH - so nah und doch so unterschiedlich

    So nah und doch so verschieden wie Berescheid und das 500 Meter „dröver“ oder „bo-evert“ (oberhalb) gelegene Dreiborn sind viele Ortschaften im ripuarisch-limburgischen Sprachraum. Die rheinfränkische Sprache hat zwischen Niederrhein und Eifel viele Varianten, erst südlich von Dahlem/Hellenthal geht sie tatsächlich in einen anderen Dialekt über, das sprachverwandte Moselfränkisch.

    Hierzu haben jeweils ein Bereschter und ein Drommerter Urgewächs beispielhaft einige Ausdrücke zusammengetragen, die sich im „Platt“ des jeweiligen Ortes mehr oder weniger deutlich unterscheiden. Auf einige „spezielle“ Ausdrücke, wie beispielsweise das Wort für „essen“ (in Beresch „eiße“) musste hierbei verzichtet werden, weil es schlicht und einfach unmöglich ist, den Drommerter Ausdruck hierfür aussprachegerecht aufzuschreiben.

    Tabelle Aussprache Dreiborn - Berescheid


    Dass diese sprachlichen Eigenheiten im richtigen Leben auch schon mal zu gewissen Verständigungsproblemen führen können, soll die folgende Anekdote, deren Wahrheitsgehalt weder offiziell bestätigt noch widerlegt ist, verdeutlichen:
    Vor Jahren, als der regelmäßige Besuch der Sonntagsmesse noch ebenso selbstverständlich war wie – jedenfalls für die Herren der Schöpfung (Mannslöck) – der anschließende Frühschoppen, betrat ein Landwirt (Buur) aus Berescheid nach der Messe die Dreiborner Kneipe. Prompt sprach ein schon anwesender Dreiborner ihn an: „Na, Due Bereschter, worsch Due ooch jrad err Moss.?“ („…warst Du auch grade in der Messe?“) Daraufhin der Berescheider: „Nee, ich wor en dr Mess, net en dr Moss. Denn bej oss oss Moss, wat överich oss, wenn ose Ohes ens mosse moss.“ (Bei uns ist Mist, was übrig ist, wenn unser Ochse mal müssen muss.“)

    Anmerkung: Hier könnte man anstatt „mosse moss“ auch die derbere Version „drieße moss“ wählen, was aber vom Wortspiel her nicht so interessant klingt.

    Aber eins ist wichtig:
    Obwohl der Bereschter im Gegensatz zum Drommerter, der vorzugsweiwe das „O“ verwendet, eigentlich eine Vorliebe für das „Ö“ hat, hörte man noch nie einen Berescheider seinen Nachbarort „Drömmer“ nennen. Drommer wor, oss on blievt ooch en Beresch „DROMMER“.