Kerperscheid

Kruzifix in Sicherheit gebracht

Von Manfred Lang
nach Vorarbeit des Stadtarchivs Schleiden

Durch Orkanböen zerstörte Fachwerkscheune in Kerperscheid, 1984. (Foto: Manfred Hilgers/SA Schleiden, Bildsammlung)


Im „Pferdedorf“ „Kerpesch“ steht die Maria-Hilf-Kapelle im Mittelpunkt – Orkan blies denkmalwerte Scheune um – Solarenergie spielt eine besondere Rolle

Schleiden-Kerperscheid – Kerperscheid („Kerpesch“) liegt im Schleidener Süden, „metzen em Bösch“ (mitten im Wald), wenn man so will, auf 530 Metern Meereshöhe. Auf der Weltkugel trifft man bei 50° 30′ 43″ Nord, 6° 29′ 10″ Ost ziemlich genau auf die Maria-Hilf-Kapelle, das geistliche Zentrum des 85-Einwohner-Ortes, der vor der kommunalen Neugliederung 1972 zur Gemeinde Hellenthal („Hellendall“) gehörte.

Kerperscheid wird mit Wintzen und Broich 1464 erstmals in einem amtlichen Schriftstück erwähnt. Der Heimatforscher Karl Guthausen („Juthausens Karel“) ist davon überzeugt, dass der auf „scheid“ endende Ortsname in der mittelalterlichen Rodungszeit entstand. In seiner Arbeit „Siedlungsnamen“ (1967) heißt es, die Namensendung „scheid“ beziehe sich auf die Lage an einer Wasserscheide auf einem Bergrücken.

Die Wasserscheide ist die zwischen Urft und Olef. Nördlich von Kerperscheid fließt der Scheidebach. Interessanterweise gehörte keiner der drei seit 50 Jahren zu Schleiden zählenden Orte östlich der Olef vor der kommunalen Neugliederung zur kreisstädtischen Talkommune. „Kerpesch“ gehörte wie erwähnt zu „Hellendall“, „Wöntze“ zu Kall und „Brooch“ zu „Harpesch“ (Harperscheid)

  • Rheinfränkisch/Moselfränkisch

    Das Schleidener Land mit Kerperscheid ist Kerngebiet der ripuarisch-Eifeler Mundart, kurz „Rheinfränkisch“ – im Vergleich und Gegensatz zu „Moselfränkisch“, das weiter im Süden der Eifel gesprochen wird. „Häer säht, seij säht“ (er sagt, sie habe gesagt), heißt es hierzulande: „»Su«, säht sei“, habe sie gesagt, „hätt häer jesaaht“ (habe er gesagt), „soll datt senn“ (könnte es sein…), „datt sei dat säht“ (dass sie sagt), „datt häer dat soll jesaaht hann“ (dass er das gesagt haben soll).

    Oder am Stück: „Häer säht, seij säht, „su“, säht sei, hätt häer jesaaht, soll datt senn, datt seij dat säht, datt häer dat soll jesaaht hann?“ Oder bezugnehmend auf schielende Jungen, die es früher in jedem Eifeldorf gab und die wegen ihrer Augenfehlstellung als „schäerle Schäng“ gehänselt wurden:

    Streiten sich zwei Mütter schielender Söhne – und die eine droht der anderen: „Wenn Ühre »schäerle Schäng« noch eemohl »schäerle Schäng« für oße »schäerle Schäng« sääht, dann sääht oße »schäerle Schäng« su lang »schäerle Schäng« für Ühre »schäerle Schäng«, böss Ühre »schäerle Schäng« nie mie »schäerle Schäng« für oße »schäerle Schäng« sääht.“

    Am 24. November 1984 wüteten Böen („Wöngkstöss“) des schweren Orkans „Yra“ über die waldbestandenen Höhen. In Kerperscheid wurde eine Scheune („Schüür“) völlig zerstört („demoliert“), die unter Denkmalschutz gestellt („jestallt“) werden sollte. Im Zweiten Weltkrieg (kurz „em Kreech“ oder „em letzte Kreech“) wurde das Straßendorf („Strooßedörep“) von einem Bombenteppich getroffen. In einem Brief („Breef“) vom 27. Januar 1945 schilderte der in Schleiden gebliebene Ernst Hennes die Situation im heutigen Stadtgebiet Schleiden.

  • Tote lagen in Kammerwald

    Darin heißt es: „Ich habe schon Hunderte mit begraben und viel Grauenhaftes gesehen. Außerdem begraben wir kaputte Pferde, in Schleiden liegen z.Z. nur 22 Stück. Auch graben wir immer nach toten Soldaten. […] Wenn Flieger kommen, sind wir natürlich gleich weg und den größten Teil des Tages verbringen wir in irgendeinem Stollen; dadurch kriegen wir nicht viel getan und haben auf dem Kammerwald meist einige Dutzend Leichen auf Vorrat. […]“

    Und weiter: „Wie es nach dem fünften großen Bombenangriff hier aussieht, kann ich nicht schildern. Ich kenne mich selbst nicht mehr aus. Nichts als Trümmer und Trichter und Verwüstungen, soweit das Auge reicht […] Vom Bahnhof bis Dardennes Fabrik ist ein Trichter neben dem anderen. […] Hier ist fast kein Dorf mehr, was noch nicht angegriffen wurde, selbst Wintzen und Kerperscheid bekamen Bombenteppiche. Gemünd, Kall, Mechernich und andere größere Orte sind natürlich ganz kaputt und gänzlich verödet. Die Artillerietätigkeit hat in den letzten Wochen stark zugenommen, wir haben fast jeden Tag und jede Nacht Beschuss. Am Abend schossen sie 36 Schuss in noch nicht zehn Minuten hier herein.“ (zitiert nach Otto Kersting: „Zukunft braucht Erinnerung“, Schleiden 1995.)

    Kerperscheid gehörte seit Jahrhunderten zum Schleidener Besitz der Edelherren. Die Ersterwähnung war 1464. Der Bau der Maria-Hilf-Kapelle, die für das Dorf im Wortsinn zentrale Bedeutung hat, wurde 1910 in Angriff genommen. Und zwar von einem damals nur 13 Mitglieder zählenden Kapellenbauverein. Drei Jahre später war das kleine Gotteshaus vollendet – und eine von 1904 stammende Pfeifenorgel eingebaut.

    Kirchliche Musikinstrumente waren zu der Zeit noch nicht mit elektrischen Gebläsen ausgestattet, sondern mit einem manuell „getretenen“ Blasebalg. Es existiert eine Persiflage auf die Schwierigkeit, ein solch schwieriges Blasinstrument wie eine Orgel zu spielen.

    In dem Lied „Wievell Wöngk op e Jloria jeht“ werden aber nicht die Finger- und Fußfertigkeit des Organisten besungen, sondern die Plackerei des Blasebalg-Treters, der im Wortsinn ein Lied davon singen kann, wie viel „Wind“ er für ein einziges „Gloria“ erzeugen muss. Die erste „Hellisch Mess“ im neuen Gotteshaus von Kerperscheid zelebrierte nach Aufzeichnungen der Schleidener Pfarrer Otto Frings. 2001 und 2002 renovierten die Kerperscheider Gläubigen die Kapelle in Eigenregie.

  • Reste der Schlosskirche

    Die Fenster im Windfang-Bereich der Kapelle sind 2006 aus Resten der alten Fenster aus dem Chor der Schleidener Schlosskirche gestaltet worden – und zwar durch den in Kerperscheid geborenen früheren Schleidener Schlossorganisten, Küster und Chorleiter Josef Dederichs.

    In der Karwoche („Karweich“) gehen und beten Gläubige einen Kreuzweg („Krüzzwääsch“) von Oberhausen („Ovehuuse“) entlang verschiedener Kreuze und Leidensstationen Christi nach Kerperscheid. Das Schlusskreuz in Kerperscheid mit gekreuzigtem Christus von 1838 steht seit 1885 an seinem Platz unter Kastanienbäumen – und unter Denkmalschutz.

    Interessant ist, dass die Kerperscheider in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs das Kruzifix in Sicherheit brachten – und nach dem Vorüberziehen der Front und dem Ende der erwähnten Bomben- und Tieffliegerangriffe wieder hervorholten und aufstellten. 1954 wurde Kerperscheid die Genehmigung erteilt, am Dorfplatz ein Spritzenhaus zu errichten. 1958 findet sich im Stadtarchiv der Aktenvermerk, dass das Gebäude mangels Bezuschussung nie gebaut worden ist.

    Es gab im Dorf mit August Pütz vor dem Krieg nur einen Gewerbetreibenden und keine Gastwirtschaft; das Postamt Schleiden unterhielt im Dorf eine Posthilfsstelle. Mitte der 1990er Jahre wird Kerperscheid ans kommunale Kanalnetz angeschlossen.

    Die trockenen Fakten aus dem Stadtarchiv vermögen natürlich nichts von der Schönheit des Dorfes und seiner einmaligen, von Wäldern umgebenen Lage zu vermitteln. Kerperscheid ist zweifelsohne eines der interessantesten und malerischsten Dörfer im Schleidener Stadtgebiet. Eine der 85 Bewohner, die das zu schätzen wissen, ist die Künstlerin Eva-Maria Hermanns, die als Wahleifelerin ihr Atelier seit 1979 in „Kerpesch“ unterhält.

  • Atelier Eva-Maria Hermanns

    Die Malerin und Bildhauerin leitete einige Jahre ehrenamtlich den Ausstellungsbetrieb des Heimatmuseums Blankenheim und wurde 2010 mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für ihre besonderen Verdienste im Bereich der Heimatkunde und der Kunst und Kultur im Kreis Euskirchen ausgezeichnet.

    In einem Internetforum für Wanderer/Bergsteiger wird Kerperscheid sehr gepriesen. Da schreibt ein Chatter namens „kletterkünstler“: „Das kleine Dörfchen Kerperscheid findet man nahe der B 258 hoch über dem tief eingeschnittenen Oleftal zwischen Hellenthal im Süden und Schleiden im Norden. Auf einer recht weitläufigen Lichtung liegend wird es vom Schleidener Forst umgeben. Nördlich des Pferdedorfes fließt der Scheidebach.“

    Und weiter: „Im Ort ist ein Solarenergie-Installationsbetrieb ansässig, weshalb hier mehr Solar-Ökostrom produziert und genutzt wird als in anderen vergleichbaren Dörfern. Vermutlich auch deswegen hat Kerperscheid einmal eine Medaille im äußerst prestigeträchtigen Wettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft« gewonnen.“